Der Sultan ruft, die Massen folgen

Mehr als eine Million Menschen folgten dem Ruf von Recep Tayyip Erdoğan und versammelten sich zu einer Großkundgebung für die Demokratie, gegen den Putsch und die türkische Nation in Istanbul. Bühnenreif inszeniert, ohne Parteifahnen und ausgestattet mit roten Nationalfahnen und weißen Türkei-Mützen feierte die Masse ihren Sultan und skandierte sich in Ekstase. Das mittlerweile obligatorische “Ya allah bismillah, allahu ekber!” (Im Namen Gottes, Gott ist groß!) durfte natürlich nicht fehlen. Deutlicher lässt sich die laizistische, kemalistische Türkei nicht zu Grabe tragen. Es wird zu einem Treppenwitz der Geschichte werden, dass auf der Großkundgebung das Porträt Mustafa Kemal Atatürks neben dem von Recep Tayyip Erdoğan prangte.

Ein jedem seinen Reichstagsbrand

Auch wenn es nicht bewiesen ist: der Putschversuch mutete schon merkwürdig an. Nur ein Bruchteil der Armee unternahm den Versuch, der schnell niedergeschlagen wurde. Plakate gegen den Putsch hingen kurz nach dessem Scheitern an AKP-Gebäuden, aufgebrachte Mengen von AKP-Anhängern, MHP-Nationalisten und Islamisten griffen Kirchen, alevitische und kurdische Stadtteile an. Nach dem Putschversuch rollte sofort die Säuberungswelle an. Zehntausende Soldaten, Polizisten, Richter und Beamte wurden verhaftet, ebenso pro-kurdische Politiker der HDP.

Ob ernsthafter Putschversuch oder Täuschung, Erdoğan nutzt die Situation ohne Scheu oder Verschleierungsversuche, um den türkischen Staat weiter umzubauen und auf seine Person und die AKP zuzuschneiden. Das Vorgehen erinnert an jenes der NSDAP, die den Reichtstagsbrand 1933 zur Verfolgung politischer Gegner nutzte und sich mit Gesetzesänderungen weitreichende Befugnisse verschaffte. In dieser Zeit entstanden auch die sog, “wilden Konzentrationslager” – provisorische Haftorte, ähnlich der Pferdeställe, die die türkischen Behörden jetzt zur Inhaftierung politischer Gegner nutzen. Man mag durchaus nicht so weit gehen wollen, Erdoğan sowie dessen AKP mit Hitler und der NSDAP zu vergleichen. Dennoch sind Parallelen im Vorgehen deutlich erkennbar. Eine – zum passenden Zeitpunkt – eintretende Katastrophe wird von der Regierungspartei zur Schaffung eines Ausnahmezustandes und einem Umbau des Staates genutzt.

Für ein Europa ohne diese Türkei

Die nun an die Öffentlichkeit gelangten Informationen deutscher Geheimdienste benennen nur das, was aufmerksamen Beobachtern der geopolitischen Lage seit längerem klar gewesen sei dürfte: unter Erdoğan und seiner konservativ-sunnitischen – bisweilen islamistisch anmutenden – AKP hat sich die Türkei zu einem Unterstützer islamistischer Terrororganisationen entwickelt und ist zur Aktionsplattform für diese im Nahen und Mittleren Osten geworden. Damit tritt die Türkei als prominenter und einflussreicher Unterstützer neben die US-geführte Koalition, deren Hilfe für syrische Rebellengruppen auch bei solchen wie “Harakat Nour al-Din al-Zenki”, einer al-Qaeda nahen Gruppierung, ankommt und die traurige Berühmtheit in den sozialen Medien durch die Enthauptung eines (vermutlich) palästinensischen ca. 12-jährigen in bzw. um Aleppo erlangte und die sich seit langem der Kritik ausgesetzt sieht, sie unterstützen ebenfalls terroristische Gruppierungen. Das Eingreifen der Türkei auf Seiten von Terroristen und die – zumindest derart undifferenzierte – Unterstützung syrischer Rebellen wird die Lage für die syrische Bevölkerung, die gesamte Region und Europa drastisch verschlimmern und der Türkei, zusammen mit dem EU-Türkei Flüchtlingsabkommen, weitere Druckmittel an die Hand geben.

Europa muss seine Probleme selbst lösen

Die Lösung und Antwort an dieser Stelle muss klar und deutlich sein. Ein Europa mit dieser Türkei kann und darf es unter keinen Umständen geben. In der jetzigen Situation, geprägt von Massenarbeitslosigkeit (gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen – eben jene Generation, die Europa Prosperität verschaffen und gefälligst alle Krisen lösen soll), inneren Zerwürfnissen, dem zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt per Referendum geforderten Austritt eines Mitglieds, die Folgen der Finanz- und Eurokrise, illegale Masseneinwanderung, Terrorismus und dem Aufstieg autoritärer nationalkonservativer Regierungen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten, sind diese Ereignisse mehr als nur Alarmzeichen oder Weckrufe, wäre bspw. der EU-Beitritt der Türkei alles andere als ein Garant für Stabilität und Sicherheit. Diese Ereignisse sind Beweise für das Scheitern einer jahrelangen snobistischen Europapolitik, die die Grenzen öffnete und gleichzeitig den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft über Gebühr durchregulierte, die finanzielle Belastung zur Bewältigung der Einwanderungskrise erhöhte (zuletzt mit dem geplanten Griff in die Kassen der gesetzlichen Gesundheitsvorsorge)sowie wohlfahrtsstaatliche Anreize von globaler Wirkungskraft aussandte. Und aus diesem Grund wird eine tiefgehende Partnerschaft auf diesen Ebenen mit der Türkei die genannten Probleme – sagen wir beginnend bei Sicherheit, Masseneinwanderung und Terrorismus – nicht lösen. Erst recht nicht  wenn Europa die faktische Entscheidungskompetenz abgibt, so geschehen mit dem EU-Türkei Flüchtlingsabkommen. Europa kann sein Probleme nicht von der Türkei lösen lassen. Insbesondere nicht, wenn die Türkei ein Interesse an Gegenteiligem hat. Europa muss seine Probleme selbst lösen. Zumindest die hausgemachten.

 

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